Schreiben an VwG mit Vollmachten der Schüler



An das
Bayerische Verwaltungsgericht
86152 Augsburg
Kornhausgasse 4

Gersthofen, den 14.5.2001

Betreff: Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Stadt Gersthofen zur Benutzung des Stadtarchivs

In der Verwaltungsstreitsache
  1. Dr. Bernhard Lehmann
  2. Regina Gehring
  3. Sabine Braunmiller
  4. Volker Treusch
  5. Christian At tinger
  6. Johannes Schübl
  7. Jürgen Wünsch
  8. Christian Kunisch
  9. Felix Ludi
  10. Daniela Berger
  11. Andreas Hönike

(Einverständniserklärung der Erziehungsberichtigten liegt bei, sofern die Schüler noch nicht über 18 Jahre sind) Antrag auf eine einstweilige Verfügung zur Benutzung des Stadtarchivs Gersthofen

Begründung:

  1. Meine Schüler und ich wollen im Rahmen eines schulischen Projekts die Geschichte der Fremd- und Zwangsarbeiter in den Gemeinden Gersthofen, Gablingen, Batzenhofen und Hirblingen in der Zeit des Nationalsozialismus erforschen und das Schicksal und die Lebensbedingungen dieser Menschen vor Ort einer interessierten Öffentlichkeit in einer Ausstellung und im Internet dokumentieren.
  2. Wir haben wiederholt betont, dass wir uns an die Bestimmungen des Bayerischen Archivgesetzes halten und selbstverständlich den Schutz von Firmen und Personen entsprechend diesen Bestimmungen einhalten werden, wie wir das auch schon im Staatsarchiv Augsburg unter Beweis gestellt haben. Dort erhielten wir problemlos Zugang zum Archiv.
  3. Es geht uns bei unserem Projekt nicht um die Anprangerung von Gersthofener Bürger, sondern um die Aufarbeitung eines wichtigen Kapitels deutscher (in diesem Fall auch von Lokal-) Geschichte. Schüler sollen unter Anleitung in einem Projekt Archivarbeit lernen, aber auch zur Einsicht geführt werden, dass historisches Urteilen (unter Zuhilfenahme einer breitestmöglichen Quellenbasis und unter Ausschöpfung aller Perspektiven in Annäherung an die Objektivität) ein hochkomplexer Vorgang ist und nie einen Endgültigkeitscharakter in Anspruch nehmen kann.
  4. Zwar hat Herr Bürgermeister Deffner mir Zugang zum Archiv gewährt, aber unter Bedingungen, die unannehmbar sind, da sie historische Forschung unmöglich machen. (Anlage 1: Brief des Bürgermeisters an Dr. Lehmann) "Die Stadt ist nunmehr bereit, Ihnen Einblick in das städtische Archiv zu gewähren. Voraussetzung ist allerdings, dass Sie eine verbindliche und schriftliche Erklärung abgeben, dass Daten über Firmen und Personen, die Zwangsarbeiter beschäftigten, weder an die Schüler, an sonstige Dritte oder an die Öffentlichkeit weitergegeben werden. Dies gilt ebenso für die Namen von Zwangsarbeitern. " Gemäß dieser Forderung des Bürgermeisters wäre jegliche historische Forschung unmöglich und könnte nur im anonymen Rahmen stattfinden. Historische Forschung besteht aber gerade im Austausch von Informationen und Meinungen, weshalb wir auf unser Forderung bestehen.
  5. Wir haben dem Bürgermeister in zwei weiteren Schreiben vom 6.4.2001 und vom 4. Mai Kompromisse vorgeschlagen (z.B. nur die über 18-jährigen Schüler mit ins Archiv zu nehmen, Forschung im Archiv nur unter meiner Führung, Auswertung ebenso, klärendes Gespräch mit dem Bürgermeister). Wir haben sogar angeboten, er möge gegebenenfalls nur meine Person zulassen, aber leider erhielten wir auf unseren zweiten und dritten Brief keine Antwort.
  6. Alle Inhaber von Gersthofer Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten und deren Firma noch weiter besteht bzw. von denen noch Familienmitglieder am Leben sind, haben uns ein Interviewermöglicht, sodaß wir den Aspekt der Multiperspektivität berücksichtigen konnten. Gleichzeitig zeigt die Bereitschaft dieser Firmen, dass es keineswegs um die schutzwürdigen Interessen von Familienmitgliedern gehen kann.
  7. Das Schicksal von Fremdarbeitern bzw. Kriegsgefangenen, die bei Bauern beschäftigt waren, dokumentieren wir nur insoweit, als uns diese Familien Auskunft darüber geben (wollen). Es geht also keinesfalls darum, Bürger an den Pranger zu stellen. Fremd- und Zwangsarbeit gab es in der Kriegszeit im Nationalsozialismus in ganz Deutschland und es wird auch überallgeforscht.
  8. Nachdem der Herr Bürgermeister die Stadtverwaltung angewiesen hat, mir keine Auskünfte zu erteilen, so z.B. bei der Erforschung von Fremdarbeitergräbern auf dem Gemeindefriedhof, muss man annehmen, dass sich der Repräsentant der Gemeinde nicht mehr von sachlichen Erwägungen leiten lässt. Wir bitten infolge dieser Sachlage ,den Schülern sowie ihrem Lehrer Dr. Bernhard Lehmann den sofortigen Zugang zum Stadtarchiv Gersthofen zu ermöglichen. Ein weiteres Abwarten ist nicht mehr möglich, da es sich um Schülerinnen der 11.Klasse handelt, die nächstes Jahr in die Kollegstufe eintreten und das Forschungsprojekt mit dem Schuljahr Ende Juli abgeschlossen sein sollte.
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